Im Hamsterrad der Zahlen!

Welch glückliche Kindheit wir doch hatten. Es wurde nicht vor dem Bildschirm gezockt, es gab kein Handy und kein Internet, wir haben uns nicht von Level zu Level hoch gearbeitet, der Spielplatz war eigentlich immer draußen und dort hat sich das tatsächliche Leben abgespielt. Meistens im Wald, in Baumhäusern, manchmal auf dem Fußballplatz. Ich kann mich nicht erinnern, dass uns das jemals langweilig wurde, im Gegenteil. Der Wald war Versteck, geheimer Ort, der Platz an dem die ersten Zigaretten geraucht wurden und an dem uns keiner finden konnte.

Im Hamsterrad der Zahlen – so fühlt sich das Leben heute an. Und nicht nur für uns Erwachsene, nein auch für die viel Jüngeren. Irgendwie tut mir das weh – ich meine zu sehen, wie entfernt doch der Bezug zur Natur geworden ist und wie fremde Mächte versuchen, das was uns als Menschen ausmacht in den Griff zu bekommen. Wir werden diktiert von irgendwelchen Inzidenzen, dürfen wo rein oder nicht abhängig davon, ob wir geimpft sind oder nicht. Begriffe wie 1 G, 2 G, 2 G+, 3 G sollen unser Leben bestimmen und man selbst fühlt sich gefangen in einem unsichtbaren Gefängnis, in dem einem täglich und monoton dieselbe Zahlenmelodie in den Kopf gehämmert wird.

Es ist eine Realität, die uns wie eine Illusion vorkommt, vor der man sich schützen muss, einem immer fern erscheint und nie greifbar wird. Ich meine wir müssen aufpassen, daran nicht abzustumpfen – unbewusst, weil es anders nicht erträglich ist.

Gedanken am zugigen Eck

Heute haben wir uns offiziell an unserem neuen Wohnort angemeldet. Ohne daran zu denken und ohne es zu wissen haben wir vergessen, uns vor diesem Termin zu testen, was dazu führte, dass wir in das Rathauszimmer keinen Einlass fanden. 45 Minuten standen wir daraufhin im eisigen Wind auf der Straße und mussten durch ein Fenster unsere Papiere abgeben und geduldig warten. Ist solch eine Situation nicht bemerkenswert? Man nimmt es hin und erachtet das Ganze als Folge eines Fehlers, den man selbst begangen hat. Aber ist dies wirklich so, oder hat das Absurde die Oberhand gewonnen?

Wir sind draußen aufgewachsen und diese Kindheit und Jugend hat uns nachhaltig geprägt. Wir sind nicht umsonst Fahrensleute geworden, die immer die verrückten Herausforderungen ernster und wichtiger genommen haben als Bequemlichkeiten. Wir haben uns nun zu 2/3 unserer Lebenszeit durch die Jahrzehnte gekämpft, haben gewonnen, verloren, viel riskiert und finden uns auf der Straße in einer zugigen Gasse wieder, um einen Personalausweis durch ein offenes Amtsfenster zu erbitten.

Sehnsucht nach dem was war und nach dem was kommt

All dies macht etwas mit einem. Bei mir verursacht es Brustschmerzen – es ist ein Gefühl wie wenn ich einen Büßergürtel unter dem Hemd hätte, der nicht mehr aufzumachen ist. Es ist die Sehnsucht nach Freiheit, die weh tut. Die Sehnsucht nach Abenteuer, nach Risiko, nach bestandenen Prüfungen.

Es ist die unstillbare Sucht wieder aufzubrechen zu können – denn da draußen wartet etwas darauf entdeckt zu werden.

Was sich nach Licht sehnt ist nicht lichtlos, denn die Sehnsucht ist schon Licht. (Bettina von Arnim)